Gedichte meines Grossvaters
Der Redner
Hans Reckewerth schrieb Theaterstücke, organisierte eine Sportkneipe, hielt Reden, war ein Wirbelwind und Partylöwe. Er arbeitete mit Worten, Ideen und Charme, nicht mit Händen. “Hans hat zwei linke Hände”, hiess es überall, seine handwerkliche Ungeschicklichkeit bot Anlass vieler Anekdoten, und natürlich war er selbst es, der sie am besten erzählen konnte.
Hans im Morgenmantel
Und Hans war ein Lebenskünstler, très bohèmien. Dieses Foto, wo ist das, Deauville? Monte Carlo? Wohl eher: Ein See in Hannover.
Ein Frühlingstag im April 1978, im Garten eines kleinen Krankenhauses. Opa Hans sitzt draussen in seinem gestreiften Frottee-Bademantel und trägt ihn mit einer Eleganz wie damals seine bestickten Morgenmäntel.
Ich erinnere mich an die erste Frühlingsluft.
An diesem Tag ist er sehr still. Ich klettere im Krankenhausgarten in einen Baum. Ich sitze auf dem Baum und schaue zu ihm herunter, er sitzt in seinem Gartenstuhl und schaut zu mir herauf, wir lächeln einander an. Dann schliesst er die Augen und geniesst die warmen Sonnenstrahlen der Abendsonne auf seinem Gesicht. Als es dämmert, begleiten meine Eltern, meine Grossmutter Else und ich ihn in sein Krankenzimmer. Beim Abschied sagt er versonnen: “Ich habe das Kind im Baume gesehen!” In dieser Nacht liest er in einem Roman. Er schläft beim Lesen ein, das geöffnete Buch noch in der Hand, und stirbt in dieser Nacht im Schlaf.
Tod eines Dichters.
Unvergesslich bleibt mir sein nachdenklicher Blick, wie wir einander in die Augen gesehen hatten, als er zu mir zum Baum heraufschaute, und wie er sein Gesicht mit geschlossenen Augen genussvoll in der Abendsonne wärmte, an seinem letzten Lebenstag.
Annerose DeCruyenaereEin Gedichtband in der Schublade
In meiner Schreibtischschublade ein schmales Buch mit den handschriftlichen Gedichten von Hans, verfasst Mitte der 60er Jahre. Darin wird mir die Aura meines Grossvaters wieder lebendig, eine romantische vergangene Welt, die es so nicht mehr gibt, die mich aber immer noch inspiriert.
Mich fasziniert es, dass er in dieser "kleinen" Welt immer auch etwas Weites, Grosses, Himmlisches, Berauschendes entdecken Konnte. dieses "Mehr" erkannte er gerade in den irdischen Dingen, in der irdischen Liebe, in den irdischen Waldspaziergängen, den Stimmungen der Tageszeiten und Jahreszeiten, oder auch beim Bummel durch die Strassen einer Stadt. Hans hatte das Talent, einer Zugreise in Deutschland die Stimmung einer Weltreise zu geben. Ein Wartesall im Bahnhof von Wunstorf bekam so das Flair von Paris. Es kommt immer auf die innere Weite an.
Er hat mir vermittelt, dass Poesie keine Nebensache ist. Poesie ist Lebensenergie und Liebesenergie. Seine Gedichte energetisierten auch seine Ehe mit Else, in den fast 60 gemeinsamen Ehe-Jahren.
So hole ich hier die Texte aus der Schublade, zurück ans Licht.
Annerose DeCruyenaereAn Dich
Du trägst meinen Namen
Schon so lange Zeit;
Die Jahrzehnte kamen
schenkten Glück und Leid.
Und wir trugen beides
Tapfer Hand in Hand
Eingedenk des Eides
Der uns einst verband.
Deine Mädchenseele
Hast du dir bewahrt;
Möge, was dich quäle
Nimmer sein zu hart!
Du bist all mein Leben:
Mutter, Freundin, Frau!
Was du mir gegeben,
Weiß nur ich genau.
Deiner Augen Schimmer
Ist so hell und klar,
Leuchtet er doch immer
Mir so wunderbar.
Deine schlanken Hände,
die ich küsse zart
Schafften ohne Ende
Bis zur Gegenwart.
Deines Fühlens Süße,
wie sie mich beglückt!
Meine Liebesgrüße
Tönen erdentrückt:
Mögest du gesunden,
Froh und glücklich sein!
Daß wir uns gefunden
Füllt mein ganzes Sein.
Möge dich behüten
Der, der himmelwärts
Stündlich treibe Blüten
Unser liebend Herz!
Still ist es im Zimmer
Und ich denke dein;
Du wirst für mich immer
Braut wie damals sein.
Hans Reckewerth, Bad Salzuflen, 17. August 1963Du schläfst
Du schläfst, und wir bewachen deinen Schlaf;
Wir sind ganz still, das Kind ist brav;
Es liest in seinem Bilderbuch.
Du schafftest heute auch genug.
Schlaf sanft und träume einen schönen Traum
Daß wandern wir am Waldessaum,
Vereint in trauter Zweisamkeit,
So glücklich wie in alter Zeit.
Dein Atem geht so ruhig und still
Bleib uns gesund, wenn Gott es will.
Von allen so geliebt bist du!
Schlaf weiter nun in guter Ruh!
Hans Reckewerth, 5. Dezember 1968Gedanken in der Nacht
Müde sankst du in die Kissen,
Matt von Tages harter Last,
Wolltest vom Kosen nichts mehr wissen...
Nun hält deine Seele Rast.
Zärtlich küßt' ich deine Hände
Letzter Blick vom Augenpaar -
Schlaf dir gute Träume sende,
Liebe sei dir offenbar.
Schlafe sanft, geliebtes Wesen!
Danken will ich dir auf Knien,
Was du immer mir gewesen
Und dein Herz als Trost erschien.
Vor mir sehe ich mit Wonne
Stehen dein geliebtes Bild
Morgen wieder scheint die Sonne
Für uns beide, warm und mild.
Hans Reckewerth
Bad Nenndorf, 1. September 1966Versöhnt
Wie vor Jahren waren wir zerstritten,
Dunkel ward der Herzen Widerschein,
Grad so, wie schon früher wir gelitten
Wußte unser Sinn nicht aus noch ein.
Harte Worte prallten uns entgegen,
Augen, die verbargen, was uns lieb
Fühlten wir im Innern auch sich regen
Unsre Liebe, die uns immer blieb.
Nach dem Sturme hatten wir uns wieder,
Liebten uns mit Zärtlichkeit wie je.
Jubelnd singen wir nun Liebeslieder
Deren Klang entfernt von Schmerz und Weh.
Laß es währen, Herz, und laß uns lieben,
So wie einst als Bräutigam und Braut;
Denn du bist mein Lebensquell geblieben,
Seit in stiller Feier wir getraut.
Hans Reckewerth, 16. September 1966Seltsam
Seltsam: Wenn du fern mir bist
Bin ich ganz bei dir,
Träum ich, daß dein Mund mich küßt,
So als wärst du hier.
Deiner Augen gutes Licht
Leuchtet mir von fern
Sagt mir still: Vergiß mein nicht!
Wie ein heller Stern.
Trennung gibt der Liebe Kraft,
macht die Herzen weit;
Sehnsucht neue Liebe schafft
Wie in alter Zeit.
Wenn ich wieder bei dir bin,
Sollst du glücklich sei,
Meine Lebenskönigin
Ja, mein Herz ist dein!
Hans Reckewerth
Burbach, 26. Oktober 1968, 3 Uhr morgensAuf der Heimfahrt
Heimwärts lenk ich meinen Schritt
Und mein Herz pocht freudig mit,
Schlägt der Abfahrtszeit entgegen
Deinet - und der Kinder wegen.
Vor der großen Uhr im Raum
Träum ich meinen schönsten Traum:
Dich in Liebe zu empfangen
Und zu stillen mein Verlangen.
Gestern war ich noch im Wald;
Schön war es, wenn auch schon kalt;
Heute will ich zu dir fliegen
Warm in Deinen Armen liegen.
Die Minuten laufen hin
Sie, wie ich so glücklich bin!
Zu dir wird der Zug mich tragen
Dann darf ich dir Liebe sagen.
Weit zurück liegt jene Zeit
Da wir beide uns gefreit;
Danken wolln wir dem Geschicke
Das uns trug zu diesem Glücke.
Hans Reckewerth,
In Karlsruher Wartesaal, 13. November 1968.
Photo: Else ReckewerthIm Wartesaal
Schwarzes Kleid und weißes Schürzchen: Sehr adrett!
Trippelt sie im Wartesaal so nett
Zur Bedienung eilig hin und her
So, als würde ihr die Arbeit nimmer schwer.
Und doch sah ich diesen müden Zug am Mund,
Als sei ihre Seele heimlich wund.
Hat sie ihren Lebenszug verpaßt?
Was bedeutet ihrer Hände Hast?
Denn sie zitterten, ein kleines bißchen nur,
Eine Falte weist der Sorgen Spur.
Doch bevor mein Mitleid fühlbar quoll,
Schrillte plötzlich eine Glocke grell und voll.
Hin zu meinem Zuge führte mich mein Gang.
Nur mein kurzer Abschiedsgruße klang.
Und ich dachte: Keiner je entrinnt
Seinem Schicksal, denn wir Menschen sind
Von Natur ein jeder nur allein,
Fern vom Nächsten! Saget: Muß das sein?
Hans Reckewerth, im Wunstorfer Wartesaal, 1966.
Photo: ©Annerose DeCruyenaere, Bahnhof La Rochelle, Frankreich.Fremde Stadt
Ich liebe es, durch eine fremde Stadt zu gehen
Am Abend, wenn die vielen hellen Lampen scheinen.
Auch bleibe ich wohl gerne vor den dunklen Häusern stehen
Und höre Menschen sprechen und die Kinder weinen.
Dann kommt es vor, daß ich im Schreiten bei mir denke:
Milliarden Menschen atmen mit mir, und sie leben
Und sehnen sich; und daß das Schicksal jedem schenke
Ein Quentchen Glück von dem, das du mir hast gegeben!
Hans Reckewerth,
3.September 1966
Photo: ©Annerose DeCruyenaere
Old Towne Orange, CaliforniaDir
Wie bin ich froh und glücklich heut
Wie leicht ist mir der Sinn
Ich habe keinesfalls bereut
Daß ich schon munter bin.
Die Morgenfrühe grüße ich,
Der Vogelsang grüßt mit,
Und meine Füße freuen sich
Im Gras bei jedem Schritt.
Der Tau netzt sie so kühl und klar,
Mir ist so froh zu mut.
Dir danke ich's denn das ist wahr:
Durch dich nur ist's so gut!
Du bist mein Lebensquell, mein Licht
Auch wenn getrennt wir sind.
Schau ich dein gutes Angesicht,
Du mein geliebtes Kind!
Hans Reckewerth
Salzuflen, Am frühen Morgen des 6. August 1963
Photo: ©2014 Annerose DeCruyenaereRegentag
Sei nicht traurig, liebes Herz
Wenn der Regen niederfällt.
Lindert er doch deinen Schmerz
Und verschönt dir deine Welt!
Regen reinigt dumpfe Luft
Atmen fällt dir leichter dann.
Spürst du nicht der Gräser Duft,
Wenn vom Himmel Regen rann?
Weißt du noch, wie oft es kam,
Daß die Tränen gaben Trost,
Dass sie lösten deinen Gram
Der im Innern dir getost?
Lachen in der Sonne Licht
Wird beglücken dich aufs neu
Wenn sie aus den Wolken bricht,
Darfst du jauchzen ohne Scheu.
Drum sei fröhlich, liebes Herz
Lass nur kommen, was da will:
Sonne, Regen, - Jubel, Schmerz -
So wird deine Seele still!
Baiersbrunn, 13. September 1966Herbstmorgen
Weiß wallt Nebel durch das Tal
In dem Morgenglanz
Und ich fühle noch einmal
meine Seele ganz.
Durch den Schleier schimmert bunt
An dem Hang der Wald
Tut mir seine Schönheit kund.
Ach, sie schwindet bald!
Es ist still, kein Lüftchen weht
Blätter ruhen aus;
Wenn der Sturm hernieder geht
Taumeln sie nach Haus!
Jugend träumt wohl, daß sie fliegt;
Leben lehrte sie.
Alter hat den Traum besiegt
Und die Phantasie.
Mensch bedenk der Blätter Los
Lebe froh den Tag!
Liegt doch in des Schicksals Schoß,
Was da kommen mag.
Hans Reckewerth, 6. November 1968
Photo: ©Annerose DeCruyenaere, Sonnenhof bei Gelterkinden, Schweiz.Sonnentag im Herbst
Durch des Waldes dunkle Schatten
Führte mich mein Fuß.
Nun schenken mir grüne Matten
Sonnenschein zum Gruß.
Welch ein Wunder dieser Morgen!
Froh bin ich erwacht;
Weit von mir sind alle Sorgen
Weil die Sonne lacht.
Wie genieß ich diese Stunden!
Ich muß es gestehtn:
Mit Natur so eng verbunden
Macht das Leben schön.
Gold und grün, das sind die Farben
Dieses Zaubers Pracht.
Blätter, die schon vorher starben
Nimmt die Erde sacht.
So in Schönheit möcht ich sterben
Friedvoll und gestllt;
Mög' ich doch die Kraft erwerben,
Gütig sein und mild!
Hans Reckewerth, 8.November 1968
Foto: ©Annerose DeCruyenaereSpätherbst
In des Morgens frischen Tau
Trat ich früh heraus,
wanderte durch Wald und Au,
Nun geh ich nach Haus.
Kirchenglocken läuten hell
In der klaren Luft;
Herbstwind ist mein Treugesell
Und des Laubes Duft.
Waldeserde federt weich
Unter meinem Schritt
Wie macht die Natur uns reich!
Mein Herz jubelt mit.
Durch die gelbe Blätterflut,
Die den Weg bedeckt
Raschle ich - es gut so gut!
Kindstraum wird geweckt.
Sieh, ein Bächlein quillt daher,
Murmelt sanft sein Lied
Rings ein goldnes Farbenmeer
An den Bäumen blüht!
Geh ich nun erfüllt zurück
In der Dämmerung
Bleibt mir dieses Tages Glück
Als Erinnerung.
Hans Reckewerth
zwischen Moosbrunn und Burbach, 2. November 1968
Photo: ©Annerose DeCruyenaere, Urwald im HasbruchSpätwinter
Endlich bin ich ganz allein
Keine Menschen seh ich mehr
Nur der Wintersonne Schein
Und des dürren Laubes Meer
Schon fühl ich des Lenzen Kuß
Schnee deckt noch den Frühlingstraum
Sorgsam setz' ich Fuß vor Fuß
Linden Windzug spür ich kaum.
Trost schenkt mir der kahle Wald,
Er harrt auf sein Auferstehen.
Sagt mir: Hab Geduld, denn bald
Wird hier alles frühlingsschön!
Hans Reckewerth, 7. März 1969
Photo: ©2013 Annerose DeCruyenaere