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Dieser sich drehende Christbaumständer  mit Spieluhr, erbaut 1900,  ist mir von meinen Vorfahren geblieben. 

Zwei Lieder spielt diese Spieluhr:

O Du Fröhliche und Stille Nacht.

Es war mein erstes großes Klangerlebnis.

An meinem ersten Heiligabend war ich gerade gut zwei Wochen alt und mir wurde später erzählt, dass ich von diesem weihnachtlichen Klangerlebnis sehr beeindruckt war.

Dieser Klang begleitete dann alle Weihnachten meiner Kindheit. 

Am heiligen Abend wartete wir Kinder ungeduldig vor der Tür des Wohnzimmers - und lauschten begierig auf diesen Klang, denn wenn die Spieluhr zu hören war, öffneten sich die Türen, und dann sahen wir den Baum, der sich drehte. Und die Geschenke darunter. Wir haben dann zu dem Klang der Spieluhr mitgesungen.

Ganz früher drehte sich der Baum mit echten Kerzen, später dann mi  elektrischen Lichtern - dann musste man natürlich den Stecker rausziehen, wenn der Baum sich drehte, weil der Baum sich sonst selbst im Kabel einwickelte.

Auf diesen Fotos  ist genau dieser Weihnachtsbaumständer mit drauf - manchmal sichtbar , manchmal unsichtbar, unter dem Baum versteckt.


Auf einigen Fotos ist meine Mutter als Baby zu sehen.

Sie erlebte als Baby am Heiligen Abend genau das gleiche wie ich - sie saß, mit ihren älteren Geschwistern, neben der Spieluhr und lauschte genau demselben Klang.

Und auch meine Großmutter hatte das gleiche erlebt. In ihrer Kindheit glänzte die Spieluhr noch silbern, jetzt ist sie etwas matter - aber der Klang ist noch ganz genauso klar.


Wovon würde dieser Christbaumständer berichten, wenn er erzählen könnte?


Der Christbaumständer würde berichten von Heiligen Abenden -

An denen Mütter mit ihren Kindern allein unter dem Weihnachtsbaum sassen, die Männer und Söhne im Krieg. Den Frauen und Kindern blieb das bange Hoffen und  Warten. Es gab Weihnachten voller Trauer, besonders, wenn die Älteren um die Jüngeren trauen mussten, ein 16jähriger Sohn starb im Krieg, eine Tochter plötzlich an einer Krankheit.

Es gab auch glückliche Weihnachten. Weihnachten, an denen die Kriege vorbei waren. An denen man sich nach langer Trennung wieder in die Arme schliessen konnte.

Die Christbaum-Spieluhr würde erzählen von den Verlobungen am Heiligabend,wie auf einem Foto, auf dem meine Eltern eng umschlungen neben dem Christbaum auf einem Sessel sitzen.

Und die Spieluhr könnte von so mancher Silvesterparty berichten, unterm Weihnachtsbaum, mit Papphütchen, Sektflaschen. An dem Baum hingen dann zwischen all dem Lametta auch fröhliche Luftschlangen.

Der Weihnachtsbaumständer hat viele Tränen gesehen - der Trauer, aber auch Tränen voller Glück, und manchmal beides zugleich. 

Ob Trauer oder Glück - beides machte wohl besonders empfänglich für diesen hoffnungsvollen Klang der Spieluhr.


Als Kind liebte ich es, am Heiligabend, weit nach Mitternacht, als die Familie schon schlief, allein im Wohnzimmer zu bleiben und mich auf den Teppich unter den Tannenbaum zu legen.

Dann liess ich den Baum noch mal ganz allein für mich drehen, mit dieser Spieluhr-Melodie, und sah in den Baum hinauf. Die Geschenke lagen ausgepackt, im Raum schwebte noch die Heilige Nacht. Es duftete noch nach Gänsebraten und Bratapfel und Bienenwachs, und es klang mit der Spieluhr alles noch mal in mir nach, was sich in dem Weihnachtsraum ereignet hatte.


Als ich später in die Welt zog, da zog der Weihnachtsbaumständer dann mit mir weiter, erlebte Weihnachten in verschiedenen Städten und Ländern.


Die meisten der Menschen dieser vergangenen Weihnachten dieses Christbaumständers leben nicht mehr, aber sie klingen nach in mir.

So sehr ich das Neue im Leben liebe - bei diesem Christbaumständer finde ich es gerade faszinierend, dass er immer gleich klingt, unverändert seit 1900.

Dadurch spüre ich ja gerade die Verbindung durch die Zeiten, Jahrzehnte, das Jahrhundert hindurch, mit den geliebten Menschen von früher, und die Verbindung mit meinen eigenen Lebensetappen.

Die Wiederholung macht gerade den Zauber von Weihnachten aus - es ist die gleiche Weihnachtsgeschichte, die wir hören, die gleichen Weihnachtslieder, Alle Jahre wieder.

So unterschiedliche jedes Weihnachten ist, weil jede unserer Lebensphase unterschiedlich ist, so schön ist es dann, Weihnachten bei etwas Vertrautem anzukommen und sich verbunden zu fühlen mit den geliebten Menschen vor uns und nach uns und denen, die jetzt bei uns sind.

Gerade Kinder lieben ja bekanntlich das Vertraute besonders, denn es schenkt Geborgenheit.

Die vertrauten Melodien mit den vertrauten Worten, die sind für mich ein Sinnbild für den ewigen Klang - ein göttlicher Klang, der immer weiterschwingt, durch alle Tränen hindurch,d urch allen Kummer, alle Freude, und uns gemeinsam hindurchträgt.

Klang aus dem göttlichen Mund,

Worte über die rettende Stund,

Es ist der Klang, der sehr laut sein kann -

Himmlische Heere, jauchzt Gott zur Ehre!

Jauchzet, Frohlocket!

Der göttliche Klang kann aber auch leise sein

Wie das leise Rieseln des Schnees.

Klang, der sich gerade in der Stille nach innen ausbreitet, im Herzen weiterklingt, wie in dem Lied „Stille Nacht“.

Klang kann sogar in der völligen Stille weiterwirken - im Nachklang.

Die Spieluhr wird ja nach einer Weile immer langsamer, der Baum dreht sich immer langsamer...

bis noch einige Töne von Stille Nacht oder Oh Du fröhliche in die Stille tropfen…

und dann, nichts mehr.

Und doch: Der Klang wirkt weiter, wenn wir in uns drinnen weiterschwingen.

Klang ist eine Energie,

eine Druckwelle von vibrierenden Molekülen durch ein  elastisches Medium.

So kann die Botschaft von Gottes Liebe zu uns durchdringen.

Weihnachten kann es für uns werden,

wenn wir diesen Klang in uns vibrieren und schwingen lassen.

Die Liebe schwingt weiter. Der Klang unser Liebsten schwingt in uns weiter, sie sind Teil von uns.

Und jeden Tag können wir neuen Menschen begegnen, mit denen wir diese Liebe weiterklingen lassen können,

und ganz besonders in dieser Heiligen Nacht.

Amen.

Annerose De Cruyenaere

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