In der Wüste bei einem Benedikinerkloster in Valyermo in
Kalifornien.
In einer Nacht, zwischen Nacht und Morgen, hatte ich
den plötzlichen Impuls, dass ich auf den Hügel hinaufgehen wollte,
zu den Grabsteinen der Benediktinermönche. Ich nahm meine
Taschenlampe und ging los, der weite Sternenhimmel über mir, das
Zirpen der Grillen, und ich leuchtete auf meine Füsse beim Gehen,
denn in den kühlen Nächten kommen gerne die Klapperschlangen
heraus.

Oben angekommen, setzte ich mich auf einen Fels. Es wird ein
ganz wenig heller.
Da erkenne ich plötzlich eine schwarze Silhouette einige Meter von
mir entfernt, dort steht eine schlanke grosse Frau, mit einem Baby
in den Armen, ganz still steht sie da, und schaut Richtung Osten,
wartet wie ich auf den Sonnenaufgang… seltsam, sie bewegt sich
überhaupt nicht…

Es wird noch etwas heller, der Himmel nun nicht mehr schwarz,
sondern dunkelblau, und ich erkenne:
Es ist eine Steinstatue, natürlich, Maria, mit dem Jesuskind… Am
Horizont ein tiefroter Streifen, das dunkelrote Sonnenlicht
bescheint die Statue und so zeichnen sich die Konturen ab.

Ich gehe hin zur Statue, die aufgehende Sonne scheint auf das
Gesicht von Maria, und von dem Jesuskind, und wenn sie nicht aus
Stein wären, würden sie wohl in die Sonne blinzeln…
Ich denke an die Verklärung Jesu, dort heisst es über Jesus:
„Und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne“.
Maria, sie macht nichts, als nur da zu sein, da steht sie, und jeden
Morgen von Neuem scheint die Sonne auf ihr Gesicht.
„Mir geschehe, wie Du gesagt hast“.


Jetzt sehe ich die Gräber der Mönche. Sie sind alle gen
Osten, der Morgensonne zugewandt. Sie warten auf die
Auferstehung.
Irgendwann wird nicht nur die Sonne von Osten aufgehen, sondern
Christus wird so erscheinen wie ihn die Jünger ganz kurz sehen
durften bei der Verklärung auf dem Berg.
Tag für Tag berührt dieses rote Sonnenlicht am Morgen dasGesicht
von Maria und dem Jesuskind, und die Namen auf den
Grabsteinen.
Und dies geschieht, ob nun jemand diesem wunderbaren
Geschehen zuschaut, wie ich heute, oder auch wenn keine
Menschen-Augen es sehen. Vielleicht wird sie Szenerie
bewundert von einem Eichhörnchen, einer Eidechse oder von
einem Vogel am Morgen. Und wer weiss, was sie empfinden…

Ich fühle mich ergriffen, dass ich dies sehen darf. Alles scheint zu
mir zu sprechen, die Sterne, die Tiere, sie Berge, die Welt klingt. Ich
schau auf die Marienstatue, die nun im vollen Licht erstrahlt, und
die Berge hinter ihr glühen rot vom Sonnenlicht.

Ich denke daran, wie vor einer Stunde noch das Mondlicht schien,
und nun die wärmende Sonne.
Der Mond, das Symbol der Frau, und die Mondsichel ein Symbol der
Maria.
Der Mond, ist in sich eine karge kalte Steinwüste, aber kommt zu
sich selbst, weil er von der Sonne bestrahlt wird, und scheint im
allerschönsten Licht, spiegelt das göttliche Licht, bewirkt durch
dieses Licht die Gezeiten und Zyklen, beleuchtet die Nächte,
ermöglicht Leben.
Der Mond ist einfach nur da und lässt dies geschehen. Und mir
wird deutlich: Alles, was ich tun muss, ist, mich in Gottes Sonne zu
stellen.
Und ich schliesse die Augen und spüre die warme Sonne auf
meinem Gesicht.
Annerose De Cruyenaere

Photos von Annerose De Cruyenaere
Sonnenaufgang auf dem Friedhof der Benediktinerabtei St. Andrews in der Wüste von Valyermo, Kalifornien.
Texte von Dr. Annerose De Cruyenaere
Photos von Annerose & Marcel De Cruyenaere
©2008-2020