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Auf den Friedhöfen in Paris sah ich überall die Maria Magdalena,  weinend, in Stein, auf den Gräben. Da sie in den Bibelgeschichten eine derjenigen war, die unter dem Kreuz und beim Grab blieben und weinten (und sie nicht wie die Jünger weglief), wurde sie zu einer Ikone der Trauer und Tränen. Den Liebesschmerz teilt Magdalena mit der Braut aus dem Hohenlied, die ebenfalls in der Nacht in einem Garten herumirrt und nach ihrem verschwundenen Geliebten sucht.

In den Pariser Salons um 1900 stellten die Künstler unzählige ‚Méditations‘, ‚Douleurs‘ und ‚Pleureuses‘ aus, sie verkauften sich sehr gut, trafen den Zeitgeist, sinnlich und melancholisch. Ein künstlerischer spiritueller Ausdruck der Trauer, Maria Magdalena dient als Identifikationsfigur in Trauerzeiten, mit dem Wunsch, dass die Liebe stärker sein möge als der Tod.

Denn Maria Magdalena irrte verloren auf dem Friedhof herum nach Jesu Tod. Sie war am Ende. Ein geliebter Mensch war gestorben, und mit ihm ist eine Vision gestorben, eine Hoffnung für ALLES, für dieses Leben und das Leben nach dem Tod. Maria Magdalena hat keinen Ort mehr, die Trauer ist absolut.

Roland Barthes beschreibt solch einen Zustand:

"Wenn mich so die Vorstellung überkommt, zugrunde zu gehen, so liegt das daran, dass es für mich nirgendwo mehr einen Platz gibt, nicht einmal im Tode. Das Bild des Anderen - an dem ich gehaftet, von dem ich gelebt habe - ist nicht mehr."

(Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe 269).

Doch die Vision wird wieder lebendig: Im Evangelium nach Johannes Kap. 20, 11ff steht:

"Inzwischen war auch Maria zum Grab zurückgekehrt und blieb voll Trauer davor stehen. Weinend schaute sie in die Kammer und sah plötzlich zwei weiß gekleidete Engel an der Stelle sitzen, wo Jesus gelegen hatte; einen am Kopfende, den anderen am Fußende.

»Warum weinst du?«, fragten die Engel.

»Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingebracht haben«, antwortete Maria aus Magdala.

Als Maria sich umblickte, sah sie Jesus vor sich stehen. Aber sie erkannte ihn nicht. Er fragte sie: »Warum weinst du, und wen suchst du?«

Maria hielt Jesus für den Gärtner und fragte deshalb: »Hast du ihn weggenommen? Dann sag mir doch, wohin du ihn gebracht hast. Ich will ihn holen.«

Da spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.

Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe."

Maria Magdalena kommt aus ihrer Trauer-Versteinerung heraus, sie rennt so schnell sie kann zu ihrer Gruppe, um ihnen von der Begegnung mit Jesus zu berichten, dem Auferstandenen, ES GEHT WEITER!!! So löst sie auch die anderen aus der Versteinerung.Und lebt intensiv weiter.

Es gibt viele verschiedene Traditionen von Maria Magdalena, dass sie noch lange gelebt hat und sehr aktiv war, als Wanderpredigerin die sogar Schiffsreisen machte, als Wüsten-Eremitin, in französischen Legenden sogar als Hebamme. Ihr Leben beginnt gerade erst richtig, nachdem sie die Auferstehung erlebt hat, als allererste Auferstehungszeugin.

Wenn ich versteinerte Maria Magdalena-Statuen sehe, sehe ich darin zugleich die lebendige Magdalena darin. Wieder in Bewegung. Was ist das Gegenteil von ver-steinert? Vielleicht: Ent-steinert?

Annerose De Cruyenaere


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