
Wofür brennst Du?
Predigt von Annerose De Cruyenaere am Pfingstsonntag 2020
Das Pfingst-Ereignis in der Apostelgeschichte Kapitel 2 ist ganz großes Kino!
Ich stelle mir vor, wie diese Szene aussehen würde, wenn man sie von oben mit einer Go-Pro-Kamera weit von oben filmen würde. Ein Haus in Jerusalem, ein großes Obergemach im Stil der Antike viele Menschen darin, man kann von oben hineinschauen. Es kommt der Sound dazu, im Film wäre es vielleicht mit Paukenschlag und Trommelwirbel: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren.“ (Apg.2,2)
Nun kommen die visuellen Spezial-Effect, dass es einen nur so blendet: „Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten, auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.“(Apg.2,3)
Von allen Seiten schwillt nun ein seltsamer Klangteppich an aus hunderten Stimmen: „Alle wurden mit dem heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden.“ (Apg.2,4) Die Kamera steigt weiter in die Höhe, so dass man die Gebäude in Jerusalem ringsum sieht, von überall eilen Einwohner und Jerusalem-Pilger zu diesem seltsamen Haus, von dem dieser nie gehörte gewaltige Klang ausgeht. Und das Eigenartige ist: Sie hören in ihrer jeweils eigenen Muttersprache, was diese Menschen dort reden! Sie gerieten außer sich vor Staunen.
Dies ist die Kraft des heiligen Geistes, die Jesus ja einigen der Jünger angekündigt hatte, bevor er vor ihren Augen emporgehoben wurde, eine Woche zuvor. Die Kraft, die Power, wörtlich heißt es hier: die Dynamik. Eine Dynamik, die im Alten Testament als Ruach bezeichnet wurde, die Geistkraft, der der Lebensatem von der ganzen Schöpfung.
Die Geistkraft, die jedem einzelnen das Leben schenkt. Ein Feuer - es kommt von oben herab und teilt sich in einzelne Flammen auf, für jede einzelne Person. Ein Sturmwind - er umfasst alles, doch jeder einzelne wird davon ergriffen.
Schauen wir uns diese Einzelnen an. Unsere Kamera zoomt nah heran. Natürlich sind da die die Jünger Jesu, namentlich aufgezählt. Aber da waren noch mehr:Im vorausgehenden Kapitel 1 stand: „Diese alle waren fest verharrend einmütig im Gebet mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“ (Apg.1,14)
Man kann davon ausgehen, dass viele Kinder mit dabei waren, Jeder und jede von ihnen erlebte die Dynamik. Frauen, Männer, Kinder, jeden Alters, jeder und jede erlebt sein oder ihr persönliches Pfingsten, und sie erleben zu zugleich alle zusammen.
Dies war einer der berühmtesten Auftritt der heiligen Geistkraft, die Entstehung der Kirche. Doch diese heilige Dynamik war laut der Bibel schon immer da, seit Anbeginn der Schöpfung, die Bibel beginnt ja damit: Die Geistkraft Gottes schwebte über den Wassern. Und sie wirkt weiter, in Gegenwart und Zukunft.
Die Dichterin Friederike Mayröcker, die inzwischen 96 Jahre alt ist, sagte vor einigen Jahren in einem Interview den Satz: „Ich glaube an den Heiligen Geist, der an der Inspiration mitwirkt“.1 Sie lebt, schreibt, erzählt in ihrer kleinen Dachwohnung in einem Wiener Mietshaus, ihr Arbeitszimmer übersät mit Papieren und aufgeschlagenen Büchern, auf dem Boden, auf allen Stühlen, Tischen, Regalen, sogar auf dem Fensterbrett. Eine Höhle aus Papier. Ihr Leben lang brachte sie von hier aus ein Gedichtband nach dem anderen in die Welt.
Sie sagt von sich: „Das Schreiben ist mein Leben.“
Immer wieder einmal erzählte sie von ihrem persönlichen Pfingstereignis. Es war im Jahr 1940, da war sie ein 15jähriges Mädchen. Sie hatte als Kind jahrelang an den Folgen einer Gehirnhautentzündung gelitten, hatte schwere Fieberanfälle, und wurde von den fürsorglichen Eltern von der Welt abgeschottet. Doch an diesem Tag war sie mal raus gekommen. Sie berichtete:
„Ich wanderte dann umher und sah viele Fliederbüsche....im Hinterhof eines Abbruchhauses sah ich einen kahlen Strauch der plötzlich zu brennen begonnen hatte, es war ein Pfingsttag. Ich wanderte dann umher und kauerte nieder und schrieb im Anblick des brennenden Busches mein erstes Gedicht."2
Von da an hörte sie nicht mehr auf, zu schreiben. Sie erklärt:„Das heißt also, der Heilige Geist spielt für mich eine ganz wesentliche Rolle... Weil ich davon überzeugt bin, daß ich aus mir selber nicht schreiben kann, sondern daß es eine Art Gnade ist, die man empfangen hat und die man immer wieder empfängt, wenn es gutgeht; da ist also dieser Glaube an den Heiligen Geist... daran, dass ich mit seiner Hilfe Texte schreiben kann. aus mir selbst heraus könnte ich das nie! Man muß bescheiden sein und warten können. und ich bin dann auch so dankbar, wenn ich wieder arbeiten kann. Ich brauche diese Hilfe!“3
Ich denke mir - oh ja, ich brauche diese Hilfe auch, gerade jetzt. Gerade in diesen Zeiten. Man ist ja zur Zeit in vielen Dingen ausgebremst. Es heißt abwarten, sich zurückhalten, aufschieben, verzichten auf Dinge, für die man brennt, auf die man sich gefreut hatte. An vielen Stellen hakt es gerade ganz schön. Seit Monaten dieser Ausnahmezustand, diese Verunsicherungen. Von manchen höre ich: Die Luft ist raus.
Doch da ist das Versprechen: Die Geistkraft ist ja immer noch da, die Dynamik, das Feuer, der Wind, und kann jede und jeden von uns jederzeit wieder neu entzünden, entflammen, begeistern, beleben, inspirieren.
Solange man die Sehnsucht spürt, für etwas zu brennen, solange hat man den Funken, der wieder neu entflammen kann.
Sehnsucht findet Ausdruck im Gebet. Es brauchen nicht viele Worte sein. Der Kirchenvater Augustin betete im 4. Jahrhundert: "Atme in mir, heiliger Geist!“ .Einfach dasitzen, atmen, aufmerksam wahrnehmen, auch das ist Gebet.
Friedrike Mayröcker betrachtete, um sich an ihr Pfingsterlebnis zu erinnern, gerne Fliederzweige in einer Vase auf der Fensterbank. Ich finde es spannend, dass ja kleine Dinge, die unscheinbar sind, wie ein Fliederzweig, doch so belebt sein kann.
Symbole finden sich ja nicht nur in Dingen, sondern auch in allem möglichen sinnlichen Wahrnehmungen.
Das können Momente sein, der Schrei einer Möwe oder Wildgans am Himmel, Taubengurren in der Stille des Morgens, Amselgesang am Abend, ein doppelter Regenbogen, eine Melodie, der Duft von Lagerfeuer.Eine Dynamik, eine Geistkraft, die uns plötzlich und überraschend bewusst macht: Wir leben.
Ja, Man erinnert sich auf einmal daran, dass man lebt. Es ist wie ein Aufwachen. Auf einmal hat man einen Sinn für das Wunder, das Mysterium des Moments.
Es gab eine Zeit, da war man nicht hier auf der Welt. Und früher oder später wird man gegangen sein. Aber genau jetzt, hier sind wir. Hier bin ich, lebendig.
Dieses Lebendig-Sein, ich staune, das ist ja so ein Mysterium! Ein Wunder!
Was ist diese aussergewöhnliche Reise von der Geburt bis zum Tod?
Ich sehe Dinge wie zum ersten Mal, meine Sinne fühlen sich lebendig, bin mit allem in Verbindung. Und da ist diese Liebe, als ob das ganze Universum von Liebe pulsiert. Und zugleich sehe ich die Verzweiflung, all das Leiden, dass keinen Sinn zu machen scheint, doch ich spüre auch eine stille Sicherheit, dass alles Gut sein wird, erlöst sein wird. Ein Gefühl, als ob man nach Hause kommen würde.
Der Jünger Petrus beschreibt sein Gefühl in seiner begeisterten Pfingstpredigt in der Apostelgeschichte:
„Darum ist mein Herz fröhlich, und meine Zunge frohlocket; denn du wirst meine Seele nicht bei den Toten lasen. Du hast mir kundgetan die Wege des Lebens, Du wirst mich erfüllen mit Freuden vor deinem Angesicht.“ (Apg.2,26ff.)
Wenn uns etwas berührt und in-spiriert und begeistert, dann drängt es uns gerade dazu, dies weiterzugeben. Und dann haben wir auf einmal auch den Mut und Elan, dies zu tun. Wir können unseren Funken auf die vielfältigsten Weisen weitergeben, es müssen nicht immer Worte sein. Es gibt eine pfingstliche Vielfalt der Sprachen - die Sprache der Blumen.die Sprache der Gesten die Sprache der Taten, die Sprache der Musik, die Sprache der Blicke.
Welche Sprache wir auch sprechen unser Gegenüber versteht es wenn es die Muttersprache der Liebe ist. So wünsche ich Ihnen frohes Leuchten, Brennen und Funkeln - und Frohe Pfingsten.
Amen.
1 Friederike Mayröcker im Interview mit Renate Graber, 23.April 2016, in der Zeitschrift "Der Standard", "Mayröcker: Ich schreibe um mein Leben."
2 Friederike Mayröcker, Prosatext "Ich starrte auf dieses Bild der Erinnerung", 1981
3 Friederike Mayröcker im Interview mit Bettina Steiner, 7.11.2009, in "Presse am Sonntag": "Mayröcker: Canetti hat den Tod auch so gehaßt".