Leonard Cohen und der brennende Dornbusch
"You want it darker" ist der Titelsong auf der letzten CD von Leonard
Cohen. Sein letzter Wille, seine letzte grosse Botschaft, sein Testament.
Der Song könnte auch den Titel "Hineni" haben, denn dies ist das Wort, das immer
und immer wieder darin gesungen wird. Das ist, wie das Halleluja, ein altes
hebräisches Wort. Hineni: Hier bin ich.
Leonard Cohen war am Ende seines Lebens, er war schwer krank, hatte Leukämie,
Brüche in Wirbelsäule und Knochen, sie zerbröselten, und er hatte furchtbare
Schmerzen. Wie kommt er auf dieses „Hineni?“
Es ist eine bedeutsame Redewendung im Alten Testament, der hebräischen Bibel.
Leonard Cohen ist im im Judentum aufgewachsen, sein Grossvater war ein
berühmter Rabbi. Sein Familien-Name „Cohen“ bedeutet auf hebräisch „Priester“.
Als Hintergrund-Chor wählt er den Männerchor seiner eigenen Heimatsynagoge in
Montreal, man hört die tiefen Männerstimmen mitsingen: "Hineni, Hineni". Er
selbst war so schwach, dass er es nicht einmal ins Aufnahmestudio schaffte.
Sein Sohn liess einen medizinischen Stuhl fertigen, in dem Leonard Cohen
gestützt wurde und seine Lieder ins Mikrophon singen konnte. In seinem eigenen
Wohnzimmer in Los Angeles.
Hineni, das ist das Wort, das Mose sagte, als er Gott begegnete in Exodus 3, 1-14.
Hier haben wir es nicht mit dem alten abgeklärten Mose-Held mit langem
weissem Bart und mit steinernen Gesetzestafeln zu tun - sondern mit einem
zornigen kriminellen jungen Mann in einer Identitätskrise nach einem gewaltigen
Karriereknick. Er gehörte einer verfolgten Volksgruppe an, den hebräischen
Nomaden. Die mussten Zwangsarbeit leisten auf dem Bau, für die gigantischen
Prachtbauten des Pharaos. Die Situation war äusserst feindselig, der Pharao
beschloss dann sogar, alle männlichen Neugeborenen dieser ausländischen
Zwangsarbeiter zu töten. Unvorstellbar. Doch das Baby Mose wird bekanntlich im
Schilfkorb gerettet, und von der Tochter des Pharaos adoptiert, ein Luxusleben mit
allergrössten Zukunftschancen. Aber wie es Adoptivkindern oft vorkommt: Er
spürt die Sehnsucht nach seiner leiblichen Herkunft.
Er sieht die hebräischen Fremdlinge und nennt sie seine Brüder. Und als ein
ägyptischer Aufseher des Pharaos solch einen hebräischen Bruder schlägt, da
ermordet Mose den Ägypter heimtückisch und verscharrt ihn ihm Sand. Aber es
kommt heraus, auch die hebräischen Arbeiter sind schockiert über die Tat, so
einen Bruder wollen sie nicht, und er muss fliehen. Er hat sich alle Seiten zu
Feinden gemacht.
Er findet bei einem anderen Nomadenstamm eine Bleibe, bei den Midianitern, er
heiratet, bekommt einen Sohn und nennt ihn Gershom, was bedeutet: Ich bin ein
Fremdling geworden in einem fremden Land. Der junge Vater lebt ein karges
Leben, hütet die Schafe seines Schwiegervaters, weil er keine eigene Schafe
besitzt, sucht mühsam in der Wüste nach Futter für die Tiere. An einem Morgen
steigt er in der Wüste auf einen Berg hinauf, und vielleicht suchte er dabei noch
mehr als Grasbüschel für seine Schafe, vielleicht suchte er auch nach einer
Antwort auf sein Leben.
„Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem
Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt
wurde.“ Da sprach er: ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen,
warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu
sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete:
HINENI. Hier bin ich.“ Ex 3,2-4
Gott spricht ihn direkt an!
Wenn man sich vorstellet, der eigenen Name würde plötzlich erklingen in der
Einsamkeit in der Wüste! Mose hat keine Zweifel, dass dies hier Gott ist. Es zieht
ihm die Schuhe aus, und er spürt unter seinen nackten Füssen: Dies ist heiliger
Boden. Er verhüllt sein Angesicht, weil er das Heilige fürchtet. Zu hell, zu gross, too
much, eine andere Dimension. Faszinierend und beängstigend.
Da stellt Gott sich ihm vor: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der
Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ (Ex 3,6)
Klare Ansage. Gott sieht in ihm den
Hebräer. Nun weiss Moses wirklich, wo er hingehört. Sein Leben als
Pharaonenziehsohn ist nun endgültig gestorben. Als dies geklärt ist, kommt Gott
zu Sache:
„Ich habe das Elend und Leiden meines Volks in Ägypten gesehen Und ihr
Geschrei über ihre Bedränger gehört Ich habe ihre Leiden erkannt“ Ex 3,7
Und er hat auch einen Rettungsplan, den Exodus in das Land, in dem Milch und
Honig fliesst. Doch dann kommt es:
„Ich will Dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Kinder Israel, aus
Ägypten führst.“ Ex 3,10
Ausgerechnet zum Pharao! Nach allem, was vorgefallen war! Das ist wohl das
Letzte, was Mose einfallen würde, das war eine Kröte, die er zu schlucken
hatte.
Mose sprach zu Gott: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe?“ Ex 3,11
Gott geht nun gar nicht auf diese Selbstzweifel ein, sondern sagt:
Ich will mit Dir sein. Ex 3,12
Darin wird sich alles ergeben, alles fügen. Es ist egal, wer Mose ist.
Wichtig ist nicht meine Frage:
„Wer bin ich?“
Sondern meine Antwort:
„Hier bin ich.“
Und Gottes Wort:
"Ich will mit Dir sein".
Diesen Zuspruch Gottes braucht es: Ich will mit Dir sein.
Und Gott offenbart dann sogar seinen Namen!
„Ich werde sein, der ich sein werde.“ Ex 3,14
Gott nimmt Mose so hin, wie er ist, aber der soll bitte schön auch ihn so nehmen,
wie er ist, nämlich: keine fertige Formel, keine in Stein gehauene Figur, sondern
lebendig, ein Geschehen, ein Abenteuer, ein Prozess, eine Beziehung, ein Wagnis.
Mose lässt sich ein. Ich bin da. Und Gott mit mir. Und von da an wächst er über
sich selbst hinaus.
Alles, was es braucht, ist: Bereit sein und Gott machen lassen. Und sich gut
anschnallen, wenn es los geht.
Als Leonard Cohen sein Hineni-Lied immer und immer wieder ins Mikrophon sang,
mag in seinen Gedanken wohl sein Leben an ihm vorbeigezogen sein. Seine Zeit
als junger Mann, als er plötzlich mit seinen Liedern sehr erfolgreich wurde. Er
wurde geliebt - aber er hatte furchtbares Lampenfieber, wenn er auf der Bühne
singen musste. Er sagte, er fühlte sich wie ein Papagei in Ketten. Manchmal rannte
er sogar weinend von der Bühne herunter.
Es kam eine heftige Depression, und als er es nicht mehr aushielt, zog er sich in
ein Kloster zurück, in den Bergen bei Los Angeles. Er fand dort keine Lösung, aber
etwas Linderung für seine Seelenqualen.
Dann geschah der Vertrauensbruch seines Lebens - seine Managerin und nahe
Freundin hatte während seiner Abwesenheit seine Millionen verzockt. Er musste
finanziell von vorne beginnen, neue Songs produzieren, und er musste vor allem
wieder auf die Bühne, vor der er geflohen war.
Er war wieder da. Er war nun bereit. Das Leben hat ihn dazu gezwungen, und wohl
auch Gott. Und so sang er seine Lieder vom Lieben und Leben - auch vom
gebrochenen Leben.
Das Erstaunliche war: Nun blühte er auf der Bühne auf, er fühlte sich ganz echt
dort, gab alle seine gebrochenen Gefühle preis, und er war dabei glückselig, und
sein Publikum auch, Halleluja! Und nun, am Ende seines Lebens, war er nun wieder
in einer Lage, in die das Schicksal ihn hineingeworfen hatte: Krankheit, Schmerz
und den Tod vor Augen, unausweichlich. In dieser Situation gibt er sich Gott in die
Arme, inmitten der Dunkelheit. Sein Sohn Adam erzählte, was während der
Aufnahme dieses Hineni-Abschiedsliedes geschah:
„Er hatte Freudenausbrüche, und trotz seines Schmerzes, stand er aus seinem
medizinischen Stuhl auf und tanzte vor den Lautsprechern, und wiederholte den
Song immer wieder, wie ein Teenager: „Hineni, Hineni, I’m ready my Lord!“
Hier in seinem Wohnzimmer ist er noch einmal ganz und gar gegenwärtig, ganz im
Moment, ganz bei Gott, und dabei ganz bei sich. Dieser dürre abgemagerte Mann,
der mit brüchigen trockenen Knochen unter Schmerzen tanzt, weil das Feuer in
ihm brennt. Er selbst wird zu einem brennenden Dornbusch, er trägt ein Feuer in
sich.
Er starb kurz darauf, aber das Feuer verlöschte nicht.
Annerose De Cruyenaere