In Bad Nenndorf (bei Hannover) lebte meine Tante, und dort gab es
einen “Zauberwald”. Dort wir immer zusammen spazieren
gegangen, wenn ich sie besuchte.
Unser letzter Spaziergang war im Schnee, der den Zauberwald
noch magischer anmuten liess. Ihr Hund Manou - alt, taub, lahm
und blind - schleppte sich widerwillig voran, geriet jedoch
unerwartet in einen Schneerausch, wälzte sich im Schnee und
hoppelte durch das weite Weiss wie ein junges Kaninchen.
Der kleine Wald besteht aus ca. 100 “Süntelbuchen” (benannt nach
dem Süntelgebirge). Diese Bäume sind sehr rar. Sie werden auch
Schlangen-Buche oder Schirm-Buche genannt.
Diese Bäume faszinieren durch ihre verdrehten, verkrüppelten,
miteinander verwachsenen Ästen. Sie wachsen im Drehwuchs und
mehr zur Seite als in die Höhe. Dadurch hängen ihre Zweige herab
und verwachsen mit den Nachbarbäumen und bilden somit
gemeinsam ein weites Zelt aus ihren Baumkronen.
Unter diesem weiten Baumkronendach und den miteinander
verschlungenen Ästen fühlt man sich wie in einem Zauberwald.
Warum gibt es so wenig von diesen zauberhaften Bäumen?
Die Gründe dafür reichen Jahrhunderte zurück. Diese Bäume
konnten wirtschaftlich nicht genutzt werden, weil sie eben völlig
verdreht und verquer waren.
Und ein weiterer Grund war: Man hatte Angst vor diesen Bäumen,
weil sie so “anders” waren, sich anders verhielten, man dachte, ein
Baum hat eben nach oben zu wachsen, sonst stimmt was nicht mit
ihm. Die Bäume sahen zudem aus wie Schlangen, ja, beinahe wie
Drachen, so nannte man sie auch “Schlangenholz” und
“Hexenholz.” und machte aus ihnen eben meistens Kleinholz und
Brennholz.
So wären diese Bäume beinahe ausgestorben - doch es gab
glücklicherweise Naturschutzprojekte, welche einige Süntelbuchen
bewahren konnten.
Ich war schon als Kind mit meinen Eltern und meiner Tante oft zu
diesem Wäldchen gegangen und habe dort gespielt, die
waagrechten Äste sind ideal zum Klettern, von einem Baum direkt
zum anderen, und in der Fantasie waren die waagerechten Äste
meine Reitpferde.
Die Bäume dieses Zauberwaldes sind gerade deshalb schön, weil
sie anders sind, weil sie in neue Richtungen wachsen, weil sie
krumm und schief sind. Ein Märchenwald mit Bäumen, die sich
nach einander umdrehen, die nach links und rechts und vorne und
hinten schauen und mehr Interesse daran haben, waagerecht zu
einander zu wachsen als allein in den Himmel zu wachsen. Ein
Märchenwald, der von seinen Wurzeln lernt, denn die wachsen
auch zu allen Seiten, um einander zu halten und stärken. Ein
Zauberwald, wo die Bäume zusammen ein schützenden Dach
bilden für Kinder, Tiere, Einsame, Freunde/innen und Liebespaare.
Text & Photo: Annerose DeCruyenaere

Texte von Annerose De Cruyenaere
Photographie ©2008-2018
Annerose De Cruyenaere & Marcel De Cruyenaere